Ausgabe 38

4. Quartal 1999

 

 

 

 

" Ich habe zu Hause ein blaues Klavier
Und kenne doch keine Note.
Es steht im Dunkel der Kellertür,
seitdem die Welt verrohte...."

 

 

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Frühere Infos

> Prominente beim VII. Forum

> Pavel Kohout

> Jiri Grusa

> Coco Schumann

> Siegfried Palm

> Präsident Vaclav Havel
ist Schirmherr

> Hauptversammlung
am 9.12.1999

 

Wir laden ein nach Wuppertal und Solingen:

VII. Else Lasker-Schüler-Forum 11. - 14. November 1999


Sehr verehrte Mitglieder,
liebe Freunde/Freundinnen von "Abigail"!

Das 20. Jahrhundert war ein Jahrhundert der Emigration und Verfolgung der Intellektuellen. Es bedarf keiner Hellsicht und es ist auch kein Pessimismus: Einschränkung der Meinungsfreiheit, Verfolgung und Emigration von Journalisten, Schriftstellern und Künstlern werden leider so schnell nicht aufhören.

Nicht wenige der Teilnehmer des VII. Else-Lasker-Schüler-Forums mußten wie die Dichterin aus Elberfeld aus ihren Ländern flüchten - entweder vor den Okkupanten aus Nazideutschland oder, kaum hatten sie überlebt, vor den Kommunisten. Etwa die Autoren Arnost Lustig und Nikolaus Martin, die es in die USA und nach Kanada verschlagen hat. Arnost Lustig, tschechischer Schriftsteller und emiritierter Professor für Literatur und Film an der Universität Washington, schildert in seinen Büchern das Leben jüdischer Häftling in Konzentrationslagern. Dabei setzt sich Lustig, der von 1942 bis 1945 in Theresienstadt, Auschwitz und Buchenwald inhaftiert war, besonders mit dem Schicksal von Kindern in den Lagern auseinander.

In seinem autobiographischen Roman "Prager Winter" schildert Nikolaus Martin das Leben eines jungen Bonvivants in Prag - bis 1939 die Wehrmacht einmarschiert. Ein Kapitel dieser Tragikomödie hat Utta Fischer-Marrtin geschrieben - Bruder und Schwester waren in der Festung Theresienstadt, dem Vorzeige-KZ der Nazis, inhaftiert.


Erstmals hat der Präsident der Tschechischen Republik, der Dichter Vaclav Havel, die Schirmherrschaft der Veranstaltung einer deutschen Literaturgesellschaft übernommen.

Der Schriftsteller Pavel Kohout, einer der Mitunterzeichner der "Charta 77", war einer der Weggefährten des jetzigen Präsidenten Havel. Aus Kohouts Feder stammt u.a. der Theresienstadt-Roman "Tanz und Liebesstunde".
Mit den Namen Vaclav Havel und Pavel Kohout ist auch untrennbar der "Prager Frühling" verbunden, der Traum vom "Sozialismus mit menschlichem Gesicht".

Makabrer Bluff-
Theresienstadt war eine einzige KZ-Täuschung
Mit Theresienstadt haben die Nazis die Welt in einer makabren Inszenierung über die wahren Ziele der Konzentrationslager getäuscht. Theater, Oper, Konzerte und Kaffeehaus - das alles gab es im Ghetto Theresienstadt: Um die Beobachter vom Roten Kreuz zu beeindrucken und hinters Licht zu führen! Die jüdischen Künstler, die seit der Einrichtung des Ghettos 1941 nach Terezin (Tschechisch für Theresienstadt) deportiert wurden, fuhren anschließend weiter - in die Vergasungsbunker von Auschwitz!
Sogar ein Film wurde dazu von Propagandaminister Josef Goebbels veranlaßt: "Der Führer schenkt den Juden eine Stadt".
Bereits 1944 war Theresienstadt "künstlerfrei": Ermordet sie alle, die Maler, Dichter, Musiker, Sänger, Schauspieler
Durch das Ghetto Theresienstadt wurden insgesamt 160.000 Menschen geschleust.
34.000 davon sind in Theresienstadt jämmerlich gestorben. 95 Prozent der 60.000 tschechoslowakischen Bürger, die über Terezin in den Ost deportiert wurden, sind umgekommen. In der ehemaligen Festung Theresienstadt, die unter Kaiser Joseph II. in der Donaumonarchie Österreich-Ungarn erbaut worden war, gab es außerdem ein Gefängnis der Gestapo (Geheime Staatspolizei), wo insgesamt 34.000 meist politische Häftlinge saßen.

Einige der wenigen Überlebenden von Theresienstadt gestalten das VII.
Else-Lasker-Schüler-Forum in Wuppertal. Diese Zeitzeugen kommen aus
USA, Kanada, Israel und Tschechien. Wer authentische Meinungen, Berichte und Kunstwerke erleben möchte, der ist herzlich eingeladen.

Sehens- und hörenswertes Konzert
Die Stadthalle auf dem Johannisberg in Wuppertal steht unter Denkmalschutz, entstanden um die Jahrhundertwende. Es gibt nicht viele vergleichbare Gebäude in Europa. Sie allein lohnt einen Besuch.
Dort, im Mendelssohn-Saal, findet am Donnerstag, dem Elften im Elften um 20 Uhr nicht Karneval, sondern ein Konzert mit Werken von vier Komponisten statt, die in Theresienstadt inhaftiert waren und später von den Nazis ermordet wurden. Kenner schätzen ihre Werke, die jedoch längst nicht den Bekanntheits-grad genießen, den sie verdient haben.

In Radiosendungen und auf den Konzertbühnen werden häufig Werke von Tonsetzern gespielt, die Mitläufer bei den Faschisten waren. Wir stellen wunderbare Musik von Nazi-Opfern vor.

Der Westdeutsche Runfunk Köln ist Mitveranstalter und zeichnet das Konzert für eine Radiosendung auf, die zeitversetzt auf WDR 3 ausgestrahlt werden wird:
Hans Krása und Pavel Haas sind vor 100 Jahren geboren, Gideon Klein wäre 80 geworden und Viktor Ullmann, geboren 1898, hat Gedichte von Else Lasker-Schüler vertont - überhaupt gibt es überraschende Verbindungen des "Tino von Bagdad" zu den Künstlern, die man in der "Festung Theresienstadt" eingesperrt hatte.

Das Musikprogramm hat dankenswerterweise unser Mitglied Siegfried Palm zusammengestellt. Der international renommierte Cellist wirkt auch als Solist mit.
Greta Klingsberg, eine der Zeitzeuginnen als Gast beim Forum, kommt aus Israel. Sie hat in Terezin - tschechisch für Theresienstadt - die Anutschka in der Krása-Kinderoper "Brundibar" gespielt und wahrscheinlich als einzige der Mitwirkenden an diesen legendären und zugleich tragischen Aufführungen überlebt.

Coco Schumann gibt Jazz-Konzert!
Stellvertretend für alle anderen Gäste des VII. Else-Lasker-Schüler-Forums sei hier Coco Schumann erwähnt, die lebende Jazzlegende. Er hat als "Ghettoswinger von Theresienstadt" sein Leben in der Festung durch jene Musik gerettet, die außerhalb des Stacheldrahts verboten war. Mit seinem Coco Schumann-Quartett gibt er ein Konzert im "Forum Herberts" in Wuppertal, dort, wo während der NS-Zeit verfolgte und mit Malverbot belegte Künstler subversiv und beschützt arbeiten konnten, darunter Wilhelm Baumeister und Oskar Schlemmer.
(Übrigens: Coco Schumann hat soeben die Aufnahmen für eine neue CD abgeschlossen. Auf dem ELS-FORUM in Wuppertal am Büchertisch erhältlich - ebenso die Romane und weitere Publikationen der Teilnehmer. Autogramme inklusive)

Danken möchten wir dem in deutscher Sprache dichtenden tschechischen Botschafter in Wien, Jiri Grusa und seiner Frau Sabine. Der Lyriker Grusa, einer der Regimegegner im Freundeskreis von Vacal Havel, war vor den Kommunisten in die Bundesrepublik geflohen, wo er später Chef jener Botschaft wurde, die den Immigranten zuvor bespitzelt hatte. Heute vertritt Grusa sein Land in Österreich. Er hält den Schlußvortrag zum Thema "Kultur als Überlebenstechnik" am 14.November um 16 Uhr im Museum Baden in Solingen-Gräfrath.
Dort wird zuvor um 11 Uhr die Peter Kien-Ausstellung eröffnet: Erstmals können wir Originalbilder jenes Malers, der auch ein exzellenter Dichter war, in Deutschland zeigen - als Leihgaben aus dem Museum Terezin, Tschechien.
Komplettiert wird die Ausstellung durch Originalzeichnungen von Else Lasker-Schüler. Auch sie eine "Doppelbegabung" wie Peter Kien und Peter Weiß, der
mit Kien befreundet war.

Dank gebührt dabei vor allem dem Museum Terezin, aber auch Rolf Jessewitsch vom Museum Baden. Der Tereziner Museumsdirektor Dr. Jan Munk spricht zur Ausstellungseröffnung über "Das Andenken des Künstler aus dem Ghetto Theresienstadt und die Gegenwart".
Und Jürgen Serke stellt in einem Vortrag Peter Kien vor, Maler und Dichter wie Else Lasker-Schüler, von der wir die Zeichnungen ausstellen, die aus der Sammlung Bolliger, Zürich, stammen und von der ELS-Gesellschaft erworben worden sind. Die Verknüpfungen zu Themen und Personen liefert das wunderbare Serke-Buch "Böhmische Dörfer -Wanderungen durch eine verlassene literarische Landschaft" (Verlag Zsolnay).

Die Veranstaltungen sind öffentlich,
für Mitglieder ermäßigt.


Hotel- und Pensionsvermittlung:
Info-Zentrum Wuppertal, Am Döppersberg in 42103 Wuppertal,
Tel. 0202 - 563...2185/Fax...8052.

Zum Forum erscheint ein - wir finden - lesenswertes Programmheft mit ausführlichen Biographien der Teilnehmern sowie Texten von Frido Mann, und Herbert-Thomas Mandl.
Frido Mann, Lieblingsenkel von Thomas Mann, hat ein Buch über Theresienstadt geschrieben. Sein Text über das KZ war Inhalt seines Vortrags im Goethe-Institut von Santiago de Chile zur Erinnerung an die Pogromnacht 1938.
Herbert-Thomas Mandl war Erster Geiger im Theresienstädter Orchester.

Wir freuen uns auf alle Gäste.
Wer nicht kommen kann, der kann uns bei unserer Arbeit und für das Anliegen eines "Zentrums der verfolgten Künste" durch Mitgliedschaft
unterstützen. Anmeldemöglichkeit hier über das Internet.


Vereinsinterna:
Neu in der Gesellschaft:

Frank Frewer, Bergisch Gladbach; Bruni und Stefan Huy, Friedhelm Haldenwang, Siegfried Becker - alle Wuppertal; Heiner Bontrup, Moers; Maria Ashley-van den Berg, Brighton, Großbritannien; Monika Bröcker-Garbers, München; Malve Burns, Washington, USA; Klaus Tucholski, Kaarst; Renate Matthes, Mülheim; Stephan Deilmann, Düsseldorf; Gertrud Dunton, Fellach; Maximilian Fresen, Wermelskirchen.

Kreative Mitglieder

Alphons Silbermann nennt sich im Titel seiner Biographie einen "Flaneur des Jahrhunderts". Das Buch erschien zum 90. Geburtstag des emeritierten Kölner Professors (mit dem ersten Lehrstuhl für Massenkommunikation). Zum "Flanieren" durch widrige Zeiten und Orte war Silbermann durch die Nazis gezwungen: Während der Emigrationsjahre lebte er in Holland, Frankreich, Australien und Frankreich. Exilarbeit als Kellner oder Chef einer Fast-Food-Kette sicherte das Überleben und gab Anschauungsmaterial über Menschen und ihre Kommunikation. Sein Blick richtete sich weniger in die Bücher als auf die Straße. Diese zweite Biographie ist keine übliche Lebenschronologie. Ein humorvoller Weiser läßt uns vielmehr teilhaben an seinen Gedanken und einem außergewöhnlichen Leben. Nietzsche und Adorno treten in einem fiktiven Gesprächen auf. Werte, die ihm viel bedeuten, rückt der Autor in den Mittelpunkt. An der Neige eines langen Lebens nimmt er Abschied von Vitalität, Freuden und Freunden. In der dritten Person redet Silbermann von sich, von Freundschaft und Liebe, Vereinsamung und Alter. Doch es ist keineswegs ein Schlußpunkt seiner Arbeiten. Ein neues Buch über Antisemitismus - "Auschwitz - nie gehört? Erinnern und Vergessen in Deutschland" - ist in Vorbereitung. Prof. Silbermann wird aus diesem Buch, das im Frühjahr bei ROWOHLT erscheint, am 12. März 2000 um 11.30 Uhr im Museum Baden, Solingen-Gräfrath, zum Abschluß der Ausstellung " Verfemt. Vergessen. Wiederentdeckt" lesen.
Eine "Keimzelle" der Sammlung Gerhard Schneider:
Valentin Nagels Bildnis "Frau mit Schleife" - Titel des Katalogbuchs "Verfemt. Vergessen. Wiederentdeckt. - Kunst expressiver Gegenständlichkeit".
(Wienand Verlag, Buchhandel,
Hardcover 98,-- DM;
Museumsausgabe DM 68.,-- DM).

Alphons Silbermann unterstützt unsere Ideen und Projekte, indem er schon bald nach Gründung der Gesellschaft Mitglied wurde.

"Flaneur der Straße", 272 Seiten, Leinen, DM 39,-- Gustav Lübbe Verlag, ISBN 3-7857-0992-7.


Klaus Goebel, Dortmund/Wuppertal, ist Herausgeber des Buchs "Drei Stunden hinter Berlin. Briefe aus dem Vikariat". Dabei stellt der Historiker Goebel weitere Briefe und Tagebuchaufzeichnungen des Schriftstellers und damaligen Vikars Heinrich Wolfgang Seidel vor, die er im Nachlaß gefunden hat. In dieser Neuauflage werden die von Ina Seidel in früheren Auflagen abgekürzten oder verschlüsselten Originalnamen von Personen und Ortsnamen in der Uckermark, soweit sie sich feststellen ließen, mitgeteilt.
Heinrich Wolfgang Seidel: Drei Stunden hinter Berlin. Briefe aus dem Vikariat. herausgegeben von Klaus Goebel. Insel-Verlag Frankfurt/Main/Leipzig (it 2158), 575 S., DM 24,80.

Waltraud Weiß, Köln, hat einen neuen Gedichtband veröffentlicht: "Eines Tages werde ich wissen" - Lyrik, Begegnung, Befreiung, Bejahung (Untertitel). Verlag Wort & Mensch, Köln, ISBN 3-9806002-0-3, DM 19,80. Dazu erschien die CD "Liebe", vertonte Lyrik von Waltraud Weiß; Komposition: Ralph Borchardt, Gesang: Christiane und Ralph Borchardt, DM 15,00 (zusammen ermäßigt: DM 30,--)

Jörg Aufenanger, Berlin, ist Verfasser biographischer Essays unter dem Titel "Hier war Goethe nicht": Reist man mit literaturhistorischem Auge durch Deutschland, zumal durch Thüringen, Sachsen oder Anhalt, so begegnet man an Wirts- und Wohnhäusern Tafeln, die sagen "Hier war Goethe!". Dessen fast überdrüssig fragte sich der Autor , wo war denn Goethe eigentlich nicht, z. B. in Paris, Wien oder Petersburg. Gern jedoch las Goethe Reiseberichte oder ließ sich von Reisenden erzählen, läßt also so "Reisen Anderer statt der eigenen gelten". Deshalb wohl auch ist das Buch kein literaturhistorisches Werk, sondern erzählt vom seßhaften Goethe, der, war er zu seßhaft, sich nach Reisen sehnte, und vom reisenden Goethe, der, war er viel auf Reisen, sich nach Seßhaftigkeit sehnte.
"Hier war Goethe nicht". Kowalke & Co. Verlag, Berlin, ISBN 3-932191-10-2, DM 36,00.

Hermann Schulz? neuer Roman heißt "Iskender" und erscheint im Carlsen Verlag. Dort war im Jahr zuvor mit großem Erfolg seine Erzählung "Auf dem Strom (3.Auflage) erschienen.
Iskender ist die Geschichte eines türkischen Arbeiters, der mit einer deutschen Bardame einen Sohn hat. Das Kind ist geistig behindert und lebt in einem Heim, bis der Vater es entführt und über alle Grenzen hinweg zu seinen anatolischen Eltern bringt. Im Umfeld des Dorfes, akzeptiert und geliebt, schreitet die Genesung des Kindes voran - bis die deutsche Botschaft die Rückführung verlangt und durchsetzt. Aber das Kind Iskender verändert sich nicht nur selbst in diesen zwölf Monaten, sondern auch die Menschen seiner Umwelt. - Der Roman ist auch die ungewöhnliche Geschichte der Liebe eines jungen deutschen Musikers zu einer modernen jungen Türkin.
"Iskender", 236 Seiten, fest gebunden, DM 26,- ISBN 3--551-58054-5

Günter Lesche, Konzertsänger aus Wuppertal, hat im Auftrag der Bundesregierung eine musikalische Brücke zu den deutschen Minderheiten in der Russischen Förderation und Kasachstan eingerichtet. Er vermittelt deutsches Liedgut aus acht Jahrhunderten. Dazu stellte er ein Liederbuch zusammen, vermittelt Pädagogen, Sänger und Chorleiter, die als Multiplikatoren in den russisch-deutschen Begegnungsstätten arbeiten. Diese 400 Einrichtungen und ihre Programmangebote läßt Lesche zur Zeit in einer Datenbank erfassen.

Wir trauern um
Ignatz Bubis

Eintrag in das Kondolenz-Buch
Nach seinem Tod, der so überraschend kam, ist das Wirken des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland ausführlich gewürdigt worden. Diesen Nachrufen möchten wir einige Erinnerungen hinzufügen.
Denn Ignatz Bubis war nicht nur Mitglied unserer Gesellschaft, weil er die Lyrik Else Lasker-Schülers mochte, sondern auch und vor allem, weil wir eine ganz andere Form der Erinnerungsarbeit betreiben als konventionelle Literaturverei-nigungen.
Deshalb hat er uns bei verschiedenen Projekten unterstützt, z.B. 1992/93 bei den Dichterlesungen in Asylbewerberheimen - unsere Form von Protest und Solidarität mit den Ausländern, als deren Behausungen von Neonazis in Brand gesteckt oder in anderer Form bedroht wurden.
Ignatz Bubis war gemeinsam mit Israels Staatspräsident Ezar Weizman Schirmherr des III. Else-Lasker-Schüler-Forums "Das Abendland im Morgenland": Dort hielt er eine drucksvollen Rede im Wuppertaler Schauspielhaus, einer Stadt, die er als junger Kaufmann oft besucht hat.
Und: Ignatz Bubis war sich nicht zu schade, in Schulen mit Kindern zu diskutieren, die bei diesen Gelegenheiten - es waren Jiddisch-Kurse des Künstlers und ELSG-Mitglieds Manfred Lemm - "zum erstenmal einen Juden sahen", wie Bubis später oft erzählte.
Beim Kampf für eine ELS-Straße in Berlin half er nicht nur durch befürwor-tende Briefe, sondern kam und diskutierte bei einer emotionsgeladenen Veranstaltung mit den Anwohnern, die sich gegen die Umbenennung (vergeblich) sträubten. Als die Stiftung "Verbrannte und verbannte Dichter-/Künstler-innen" selbständig wurde, begründet von Pädagogen, Schriftstellern und Museumsleuten in dem Buch "Gewissen gegen Gewalt - für eine Else Lasker-Schüler-Zentrum der verfolgten Künste", schrieb er uns am 6.Mai 1999 u.a.:
"Mit großer Freude habe ich auch davon Kenntnis genommen, daß die Stiftung durch eine entsprechende Spende ihre Selbständigkeit nunmehr erlangt hat. Für die weitere Arbeit wünsche ich Ihnen viel Erfolg und gutes Gelingen".

Bubis resignierenden Bemerkungen im STERN, er habe wenig erreicht in seinen Bemühungen um gegenseitiges Verständnis zwischen den deutschen Juden und ihren Mitbürgern, hat der ELSG-Vorstand widersprochen:
"Ein Verschwinden von Voreingenommenheit, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus ist Wunschdenken. Es ist wie Rudern gegen den Strom: Sobald man aufhört, treibt man zurück. Muß doch jede neue Generation nicht nur ihre eigenen Erfahrungen machen, sondern auch stets von neuem lernen, mit dem Andersartigen vertraut zu werden... Aber daß es dafür gute Voraussetzungen und eine solide Basis gibt, ist auch und gerade Ihnen zu danken."
Das ist das Vermächtnis von Ignatz Bubis.
Der Brief hat ihn nicht mehr erreicht.

Günter Grass
und
Else Schüler
Der weltberühmte Autor hat ein Geschichtenbuch geschrieben. Im besten Sinne des Wortes. Für junge Leute sind die Ereignisse Historie, die viele nicht oder nicht mehr kennen. Wir wollen ja niemandem auf die Hühneraugen treten. Aber: Dass kein trockener Historiker, sondern der Autor der "Blechtrommel" diese
Storys geschrieben hat, ist allein schon Anreiz zum Lesen. Eindrucksvoll, wenn Grass seinen Erfolg auf der Buchmesse (1959) schildert: "...jetzt hört was auf, jetzt fängt was an, jetzt haben wir einen Namen..."

Interessant für die Mitglieder unserer Gesellschaft, denen wir dieses Buch gern, aber nicht nur deshalb empfehlen, dürfte die Verknüpfung von G.G. zur Dichterin aus Wuppertal sein. Schon der erste Satz im Kapitel 1900 klingt wie ein Echo auf Else Lasker-Schülers-Schauspiel "Ichundich":
"Ich, ausgetauscht gegen mich...". In der zweiten Geschichte ist direkt von ihr die Rede und von drei Postkarten, die der Autor Ende der 50er Jahre in Berlin gekauft haben will -Ansichtskarten aus Jerusalem, geschrieben "an einen gewissen Dr. Benn... Der von Strichmännchen und Kometenschweifen durchwebte Text...las sich so: ?Wie doch die Zeit kopfsteht! Heute, am allerersten März, da das grad erblühte Jahrhundert steifbeinig mit einer Eins prangt und Du, mein Barbar und Tiger, in fernen Dschungeln gierig nach Fleisch bist, nahm mich mein Vater Schüler bei seiner Eulenspiegelhand, um mit mir und meinem gläsernen Herzen die Schwebebahn nach Elberfeld zur jungfräulichen Fahrt zu besteigen. Über die schwarze Wupper hinweg! Ein stahlharter Drachen ist es, der tausendfüßig sich windet und wendet über dem Fluß, den die bibelfrommen Färber gegen wenig Lohn mit den Abwässern ihrer Tinten schwärzen. Und immerfort fliegt mit tosendem Getön das Bahnschiff durch die Lüfte, während auf schweren Ringfüßen der Drache schreitet. Ach, könntest Du, mein Giselher, an dessen Mund ich soviel Seligkeiten durchbebte, mit mir, Deiner Sulamit - oder soll ich Jussuf der Prinz sein? - , so über den Totenfluß Styx, der die andere Wupper ist, hinschweben, bis wir im Sturz vereint verglühn."
Es ist bester Grass und beste Else Lasker-Schüler. Man kennt die Zitate, aber besitzt der Autor wirklich Postkarten von ihr? Er schreibt ein paar Zeilen später vom "Zwinkern"...

"Mein Jahrhundert" ist in zwei verschiedenen Ausgaben erhältlich:
384 Seiten, in Leinen gebunden, farbiger Schutzumschlag, DM 48,00; ISBN 3-88243-650-6
und - sehr bibliophil - mit farbigen Aquarellen von Günter Grass, 416 Seiten, 24 x 31 cm, in Leinen gebunden, durchgehend farbiger Schutzumschlag, DM 98,00 - ISBN 3-88243-6512-4 erschienen im Steidl Verlag, Göttingen.

Wir haben Günter Grass gebeten, im nächsten Jahr zu einer Lesung an die Wupper, also an jenen Fluß zu kommen, wo man "erkennt, welche Menschen leuchten" (ELS). Er dürfte kommen, denn seine Sympathie für "Sulamith" hat er mehrfach gezeigt, auch für unsere Gesellschaft. Er war bei den Dichterlesungen in Asylbewerberheimen dabei, die 1992/93 unter dem Namen der Asylbewerberin Lasker-Schüler stattfanden. Er unterzeichnete den Aufruf für ein ELS-Zentrum der verfolgten Künste. Und für eine Versteigerung zugunsten der Stiftung "Verbrannte und verbannte Dichter" hat Grass eine seiner Grafiken gespendet. In der großformatigen Ausgabe von "Mein Jahrhundert" hat der Autor, der ja wie Else Lasker-Schüler auch ein Poet der Zeichenfeder und des Pinsels ist, seinen Text über die Kollegin aus dem Wuppertal mit einem Schwebebahnbild illustriert.


Langsam werden sie wach -
die offiziellen Institutionen und Politiker, die das Sagen haben und das nötige Finanzierungsgeld vergeben können:
Österreich hat seine erste Forschungsstelle für "Jüdische Literatur in Mitteleuropa" am Institut für Germanistik an der Universität Klagenfurt eingerichtet.
Geschaffen wurde eine Stelle zur systematischen Aufarbeitung deutschsprachiger jüdischer Literaturtraditionen. Erschlossen, dokumentiert und monographisch untersucht werden sollen die Beiträge jüdischer AutorInnen zur Literaturgeschichte. Der Gegenstand der Untersuchungen reicht von der Epoche der Emanzipation bis in die Gegenwart, wobei das Schwergewicht der Foschung im 20. Jahrhundert liegt und auch die Sekundärliteratur über die genannten Themenbereiche einbezogen wird.
Zur Arbeit der Forschungsstelle gehören (ganz zentral) die Betreuung wissenschaftlicher Editionen, wissenschaftliche Veranstaltungen und Öffentlichkeitsarbeit.
Gerade im Bereich der Erforschung "kleiner" Kulturen, des Phänomens der Mehrsprachigkeit und der Kulturvermittlung kann die Befassung mit dem Judentum neue Akzente setzen, die das Schlagwort vom "Europa der Regionen" auf seine Brauchbarkeit prüfen und Kriterien multikultureller Identitäten entwerfen, heißt es in einer Presseerklärung aus Klagenfurt.
Die wissenschaftliche Aufarbeitung der jüdischen Traditionen Mitteleuropas gründet jedoch auf dem Bewußtsein der Zerstörung dieser Kultur durch die Gewaltpolitik des Nationalsozialismus. Das Bemühen um eine Rekonstruktion des Dialogs versteht sich als Pflicht zur Erinnerung und Widerstand gegen eine Kultur, "die den Mord gebar" (Theodor W. Adorno).
Adresse:
Dr. Armin A. Wallas
Institut für Germanistik, Universitätsstr. 65-67
A-9020 Klagenfurt
Tel.: 0463 - 2700/442, Fax...6110
e-mail: armin.wallas@uni-klu.ac.at

Jahreshauptversammlung der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft

Tagesordnung

1) Begrüßung (Hajo Jahn)
2) Rechenschaftsbericht (Hajo Jahn)
3) Kassenbericht Schatzmeister (H. Beil)
4) Bericht der Kassenprüfer (D. Söling u. G. Lesche)
6) Ausprache
6) Entlastung des Vorstands
7) Neuwahlen zum Vorstand
8) Verschiedenes und -
wir sind ja eine Lyrikgesellschaft, aber Mitgliederversammlung müssen sein:

9) Musikalische Lesung "Das blaue Klavier"
Alicia Fassel, Rezitation
Eva-Susanne Ruoff, Cello.

Hiermit laden wir alle Mitglieder der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft
auf Donnerstag,d. 9. 12.1999 um 19.00 Uhr in die
Mensa der Gesamtschule Else Lasker-Schüler (Wuppertal-Elberfeld, Oberstraße) ein. Über eine rege Beteiligung würde sich der Vorstand freuen.

Alle anderen Termine finden Sie hier

Info-Briefe im Internet-Archiv
Mit dem Hinweis, dass Uwe Platzek, unser "Website-Man", künftig alle Info-Briefe in einer Art Archiv im Internet anlegt - das gilt übrigens auch für die "Gedichte des Monats", der "lyrischen Seite" - verabschieden wir uns bis zur nächsten Ausgabe. Jedoch nicht ohne ein Gedicht von Peter Kien, dem Maler und Dichter, den wir im Rahmen des VII.ELS-Forums ab 14. November im Museum Baden in Solingen erstmals mit seinen Originalbildern in Deutschland ausstellen. Er kam mit 22 Jahren ins Ghetto Theresienstadt. Drei Jahre später wurden er und seine Frau Ilse in Auschwitz ermordet.

Nehmt meinen Fluch mit auf den Weg, trostlose Blätter!
Ihr mögt zergehen in der Zeit,
Eis einer düsteren Vergangenheit,
beim ersten frohen Frühlingswetter.

Kein Auge soll bei Euerm Antlitz weinen,,
die Ihr auf Tränen ans Ufer des Daseins schwammt.
Das Feuer, das in Euern Worten flammt
soll Euch zu Asche verzehren und Schlackensteinen.

Fremd sollt Ihr werden, wenn Ihr durch die Tage schreitet,
in Zukunft vor verschloßnen Herzen betteln!
Als wärn die Mädchen meiner Jugend Vetteln,
will ich sie leugnen, wenn Ihr sie begleitet.

Wie einen halbverfaulten Nachen,
zu morsch, als daß man seine Ruder rühr? ,
will ich Euch sinken sehn am Spier.
Stumm sollt Ihr werden wie vergeßne Sprachen.

Ein heiteres Geschlecht wird Eure Klagen
für ein barbarisches Gestammel halten.
und nur die Alten,
die in versunknen Tagen
Gefängnisse gesehn mit eignen Blicken,
sie werden Eure längstverblichnen Leiden ahnen
und Euch begrüßen mit gesenkten Fahnen
und trüb in der Erinnrung trüber Zeiten nicken.
Peter Kien
Aus "Böhmische Dörfer
Wanderungen durch eine verlassene literarische Landschaft" -
einem der spannendsten Bücher über unentdeckte große europäische Literatur und dem wohl wichtigsten Werk über die verfolgten böhmischen Dichter des 20.Jahrhunderts. Verfasser: Jürgen Serke. Erschienen im Verlag Paul Zsolnay.
Jürgen Serke hält am Sonntag, d.14. November um 11 Uhr bei der Ausstellungs-eröffnung im Museum Baden in Solingen-Gräfrath den Vortrag "Peter Kien oder Der Traum in der Enge". Am Freitag, d. 12. November 1999, spricht und diskutiert Serke vormittags mit Schülern des Röntgen-Gymnasiums in Remscheid-Lennep.)

Herzliche Grüße
Ihr
Hajo Jahn
(Redaktion und Inhalt)

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