In Theben geboren

Kleine Randbemerkungen

Vorabveröffentlichung aus dem Manuskript "Luxor-Streiflichter einer alten Stadt" von Verena Lüthje

Auf meinen Wangen blutet die Scham / Hätt' ich nur die Welt überstanden! / Nie war so lenzensüss mein Blut / Komm, wir wollen uns näher verbergen... / Mit Wolkentieren, die sich jagen in den Fernen / Aber du bist vertrieben wie ich. /Hab mich so abgeströmt / Und am Abend legen Innigkeiten / Wie süßer Duft auf weißen Beeten / Gottgelichtete Glieder / Darum dichten meine Lippen /Wie die Knospen an den Liebespsalmen / ueber die Welt hinaus / Maschentausendabertausendweit.[1]

Nie hat Else Lasker-Schüler dieses so gedichtet. Doch: Sie hat es, aber nicht so.

Denn: Lose purzeln die Sätze aus dreizehn und eins ihrer Gedichte und fügen sich zu einem Neuen. Sie hat ihre Sätze irgendwoher genommen, irgendwoher gedacht, aus ihrer unendlich verzauberten Wundertüte, und zusammengesetzt... und immer, wenn das lose Denken beendet war, Sätze sich formiert hatten, schlussendlich die Verse tintenblau oder tintenschwarz auf dem Papier trockneten, war etwas Neues entstanden.

In Theben geboren. Eine echte Stadt durch den Nil geteilt, mit einer alten ägyptischen Geschichte nun eine aus Phantasie und Mystik .... Dorthin, nach Theben, hat sich die deutsch-jüdische Dichterin hinein gewebt, wohlweislich sie nie thebanischen Boden betreten hat und allein sie das Mysterium um die geheimnisvollen Geschichten dieser alten Stadt und um die vielen Wahrheiten und Lügen, die die Tempel, Gräber, Mumien und Pharaonen seinerzeit und auch heute noch, umwehen, magisch angezogen haben muss, um durch eine namentliche Annäherung oder vielmehr Verwandlung, als Jussuf Prinz von Theben sich eine eigene, poetische Welt zu schaffen. Geträumt hat sie, meist von sich selbst, genau wie der biblische Josef, der jüngste Sohn Jakobs, der von seinen Brüdern in eine Grube geworfen und nach Ägypten verkauft wurde, der ihr als Bild diente. Nun hatte sie ihr eigenes Reich.

Und: In dem ging sie literarisch auf und auch Grenzen waren keine mehr da, so dass ihre eher als Märchen verstandene Poesie neben Theben auch nach Konstantinopel, Bagdad, Afghanistan, Jerusalem natürlich und andere orientalische Plätze verortete. Und nicht nur als Prinz von Theben, sondern als Tino von Bagdad, wie sie sich auch nannte, erleben wir in den „Nächten der Tino von Bagdad" weitaus orientalischere Traumwelten als sie diese in Theben hat lebendig werden lassen.

Du musst mich drei Tage nach der Regenzeit besuchen, dann ist der Nil zurückgetreten, und große Blumen leuchten in meinen Gärten, und auch ich steige aus der Erde und atme.

Else Lasker-Schüler war nicht nur Dichterin und Prinz von Theben, sondern auch bildende Künstlerin. Ihre meist colorierten Federzeichnungen bilden noch mehr als ihre Prosa eine bunte, lebhafte Brücke in den Orient. Das Buch „Theben" vereinigt eine Auswahl ihrer jedoch nicht eigens für dieses 1923 erschienene Buch geschriebenen Gedichte und schafft so mit den außergewöhnlich schönen Zeichnungen etwas ganz Neues.

Zurück in Berlin, in ihrer realen Welt:

„Achtung, Sie treten ja meinem Neger Achmed auf die Zehen!" 2

So irritierte die Dichterin gern Besucher, die sie am Tisch im Café des Westens, an dem sie oft anzutreffen war, begrüßen wollten, und mit der Begrüßung, vielleicht aus Verlegenheit, etwas zu lang warteten. Jeder drehte sich daraufhin reflexartig um und blickte:

Ins Leere.3

2 aus Kerstin Decker, 11.10.2009, Die Geschichte der Prinz von Theben, Der Tagesspiegel

3 aus: wie vor, jedoch eigen verfasst


[1] Else Lasker-Schüler, In Theben geboren, Bibliothek Suhrkamp 1275