Kontroverse

Begleitveranstaltung zur (zu recht hochgelobten) Ausstellung "Der Sturm"

Die Wuppertaler Bühnen haben als Begleitveranstaltung zur (zu recht hochgelobten) Ausstellung "Der Sturm" im Von der Heydt Museum Wuppertal ein Stück eines Autors neu inszeniert, der zu den Unterzeichnern des 'Treuegelöbnisses für Hitler 1933 gehörte. Die Hintergrund-Informationen gab es zwar für die Presse, aber nicht in der Einführung, die der Regisseur Juan Allende-Blin vor der Premiere gab.

Lesen Sie dazu den argumentativen Mailverkehr.

Florian Plödereder, Mitglied der Else Lasker-Schüler-Gesellschaft, wandte sich daraufhin an Dr. Beate Eickhoff, zuständig für Öffentlichkeitsarbeit im Von der Heydt Museum:


Sehr geehrte Frau Dr. Eickhoff*,

für die Einladung zur Premiere danke ich Ihnen, kann aber nicht umhin, nachträglich folgendes dazu anzumerken:

Dem Pressematerial, das die Dramaturgie erarbeitet hat, ist zu entnehmen, dass der Autor des Stückes 'Mann', Lothar Schreyer, einer der Unterzeichner des Treuegelöbnisses deutscher Schriftsteller für Adolf Hitler des Jahres 1933 war.

Schon im Jahr der Aufführung seines Stückes, 1920, hatte er bei der Gründung der nationalistischen 'Fichte-Stiftung' gegen die angebliche 'Zersetzung' der deutschen Theaterkultur durch Menschen, 'die ihrer eigenen Wesensart nach ein Verantwortungsbewusstsein gegenüber der deutschen Kultur nicht haben können' polemisiert - eine kaum verhohlene antisemitische Invektive (...) Von diesem ideologischen Bias des Autors erfährt das Publikum jedoch nichts, auch nicht durch die Einführung des Regisseurs Allende Blin.

Meine Frau und ich waren entsetzt über so viel - ja, ist es wirklich nur Naivität der Intendanz? Ich will es hoffen, und dass dieser Skandal in weiteren Aufführungen korrigiert wird.

Denn auch das Stück 'Mann' selbst ist durchaus fragwürdig in seiner Tendenz. (Vgl. Rezension http://fifty2go.de/16/04/2012/die-bunten-masken-der-unverschamtheit/)

Mit freundlichen Grüßen

Florian Plödereder


Dr. Beate Eickhoff hat die Anregung an die Kuratorin der Ausstellung weitergegeben.

Auch der Direktor des Museums, Dr. Gerhard Finckh, sagte zu, sich dafür einzusetzen, dass die NS-Verstrickung Schreyers nicht unerwähnt bleibt.

Weiter schreibt er:

(...)Es gibt da ja auch die berühmte Parallele zu den Futuristen, die ja auch im *Sturm* ausgestellt haben, die nach *revolutionären* Anfängen in den 30er Jahren auch zum Faschismus *übergelaufen* sind. Merkwürdig auch, dass Schreyer sich so antisemitistisch geäußert hat, da er ja mit dem jüdischen Kunsthändler H. Walden doch gut befreundet war und gerade in der *Sturm*-Galerie viele jüdische Künstler vertreten waren und von diesen dort sogar darüber diskutiert wurde, ob es eine *spezielle jüdische Kunst* geben würde. Nun will ich daraus aber keinen historisch-wissenschaftlichen Essay machen, sondern Ihnen nur signalisieren, dass wir uns des Problems bewusst sind (übrigens fand ich einen Hinweis darauf im Pressematerial, das die Bühnen herausgegeben haben (S. 5 Rückzug)) und dass wir entsprechend reagieren.

Herzlichen Dank für Ihren wichtigen Hinweis und bis bald mit

freundlichen Grüßen,

Ihr Gerhard Finckh"


Lieber Florian,

So, wie ich den Komponisten Allende-Blin einschätze wusste er von Schreyers Verhalten nichts.

Allende-Blin ist ein ELS-Fan; beim Theater ist man entweder blauäugig oder mit Chuzpe vorgegangen.

Herzlich

Hajo Jahn


Juan Allende Blin an Florian Plödereder:

(...) 1. - Die Wuppertaler Bühnen luden die Presse (die regionale und die überregionale) zu einer Konferenz ein, in der ich ausführlich über die nazistische Vergangenheit von Lothar Schreyer berichtet habe.

2. - Im Programmheft zu "Mann" auf Seite 5 meines Aufsatzes "Lothar Schreyer - Der Sturm" zitiere ich aus Schreyers Rede bei der Gründung der antisemitischen und deutschnationalen

"Fichte-Gesellschaft". (...)

3.- Ich habe in meiner Einführung keineswegs Lothar Schreyer ehrfürchtig geehrt; wenn ich jemanden geehrt habe, so ist es Herwarth Walden, der bis zu seiner Emigration in die Sowjet-Union in Freundschaft mit Schreyer verbunden blieb. Schreyer leitete bis dahin (1916-1928) auch die Zeitschrift "Der Sturm".

In meiner Einführung mit Klangbeispielen von Alexander Moissi, Arnold Schönberg ("Pierrot lunaire") und Emil Fr. Burian wollte ich auf eine fast verlorene Tradition aufmerksam machen, die auch im Bühnenwerk "Mann" zu erleben ist, und die gerade durch die Nazis unterbrochen wurde.

4. - Ich interessierte mich sehr früh für das expressionistische Werk Lothar Schreyers, wegen der radikalen Poesie. Seine schöpferischste Periode war zwischen 1916 und 1920. Damals hat er die Bühnenwerke geschaffen. Schönberg erfand 1912 seinen "Sprechgesang" und Lothar Schreyer 1916 sein "Klangsprechen". Darüber referierte ich haupstächlich in meiner Einführung. Alle diese Eigenschaften der Werke Schreyers - ob als Maler oder als Dichter - widersprachen offenkundig allen Kriterien der Nazis.

5. - Ich habe Herrn Schreyer in Hamburg kennen gelernt. Er war nie in Chile, wie Sie unterstellen. Mit Hilfe des integren Reinhold Schneider, der für Lothar Schreyer bürgte, wurde er im Sommer 1946 "denazifiziert" - wie Schreyer selbst darüber berichtet. Als ich 1951 in die Bundesrepublik kam, war Schreyer ein zwar vergessener, aber respektierter Zeuge des frühen Expressionismus. Er interessierte sich für die Musik von Olivier Messiaen, Karlheinz Stockhausen und besuchte die Orgelkonzerte meines Freundes Gerd Zacher, in denen Werke von Mendelssohn und Schönberg, aber auch Uraufführungen von György Ligeti, Mauricio Kagel, John Cage, Dieter Schnebel und von mir zu hören waren. Das alles war alles andere als selbstverständlich; die haßerfüllten Kritiken von damals zeugen dafür. Außerdem verfolgte er mit großem Interesse die Arbeit der jungen Maler.

Aus all diesen Gründen habe ich mich mit gutem Gewissen für das Frühwerk Lothar Schreyers eingesetzt. Die Intendanz der Wuppertaler Bühnen und besonders der Dramaturg des Opernhauses , Herr Johannes Blum, wurden von mir über diese Fakten unterrichtet und haben meine Arbeit sehr klug und engagiert untertstützt.

Mit freundlichen Grüßen

Juan Allende-Blin


Lieber Hajo,

Herr Allende-Blin schreibt selbst, dass er von der Nazi-Vergangenheit Schreyers erst Jahrzehnte nach dessen Tod erfahren habe. Offenbar hat er es nicht eher wissen wollen. Und er beruft sich darauf, dass er ihn Nach wie vor für unschuldig hält, weil er ja u.a. auch beim Bauhaus gewesen sei, das den Nazis ja nicht gepasst habe.

Nun hat aber Schreyer schon 1920, als er bei Waldens 'Sturm' erschien, auch bei der antisemitischen Fichte-Stiftung mitgemacht. Und nachdem er feststellte, dass er sich mit avantgardistischer Kunst bei den Herrschenden unbeliebt machte, wechselte er die Branche und schrieb nazi-kompatible Bücher. Als das Tausendjährige Reich vorzeitig beendet wurde, hat er sich offenbar zum Opfer stilisiert, sicher auch vor sich selbst.

Ich will ihn nicht zum Verbrecher stempeln, aber er war wohl ein Chamäleon.

Mag sein, dass auch Chamäleons, und vielleicht sogar in der Wolle gefärbte Nazis, imstande waren, respektable Kunst zu produzieren. Ich will mich darüber nicht zum Richter aufschwingen.

Aber wenn die sado-masochistischen Männerphantasien eines Hitler-Verehrers unkommentiert als Dokument der 1920er Avantgarde aufgeführt werden und man ihn u.a. mit Else in eine Reihe stellt, wie jetzt in Wuppertal, halte ich das für bedenklich.

Es grüßt dich dein

Florian


Lieber Florian,

Du hast mit allem, was Du schreibst, (leider) recht. Das Verhalten der Bühnen ist opportunistisch. Ich halte es auch für falsch, das Publikum nicht zu informieren.

In Chile sind ja nicht nur Emigranten aus der Zeit vor den Nazis gestrandet, sondern danach auch die geflohenen Hitler-Anhänger. Dort gab es deshalb eine richtige "braune Kolonie". Vermutlich sind die Nachfahren auch heute noch extrem nationalistisch.

Herr Blin ist ein Herr mit vollendeten Manieren, Else-Lasker-Schüler-Fan dazu - aber es ist schwer zu sagen, was er von Schreyer wusste und weiß.

Interessant ist ja, dass die Nazis nicht absolut gegen (vor allem jüdische) Avantgardekünstler waren, sondern bestimmte Avantgardekunst sogar zu schätzen wussten: Goebbels zum Beispiel den modernen Sprechrhythmus - vermutlich, weil sich damit erfolgreich agitieren ließ.

Mit besten Grüßen

Hajo Jahn


Florian Plödereder an Hajo Jahn:

Lieber Hajo,

Ich will auch Herrn Blin keine Nähe zum Nazitum unterstellen. Nur das Ausblenden dieser Facette des Autors Schreyer gegenüber dem Publikum halte ich für unzulässig. Das kann aber auch ein Fehler der Dramaturgie oder der Intendanz sein.

Aber mal abgesehen davon: Das Tückische ist ja eben, dass man nicht immer klare Linien ziehen kann zwischen Guten und Bösen, Tätern und Opfern, mitsamt ihren Hinterlassenschaften in Form von Kunst oder Literatur. Wenn man Künstler oder Autoren aus den 1920er bis 1930er Jahren betrachtet, lassen sich - aus heutiger Sicht! - mitunter verdächtige Tendenzen erkennen, die zu dem beigetragen haben könnten, was wir Zivilisationsbruch nennen, und zwar möglicherweise sogar bei solchen, die verfolgt und verfemt waren. Aber es ist schwer zu sagen, was davon persönlich vorwerfbar ist. Auch die Aufklärung hat ja ihre Dialektik.

Die NS-Bewegung war (zumindest anfangs) für viele Linke, Avantgardisten und Intellektuelle attraktiv, weil sie die erste echte Volkspartei war, weil sie viele Tabus brach, alte Zöpfe abschnitt, die Frauen politikfähig machte. (Götz Aly hat noch vorige Woche in Wuppertal daran erinnert, dass Hitler seine Reden ausdrücklich an die "Volksgenossinnen und Volksgenossen" adressierte - der größte Feminist aller Zeiten...) Es gab auch heftige Richtungs-Streitigkeiten innerhalb der Nazi-Bewegung bis hin zum Meuchelmord. Auch Unterstützer konnten plötzlich Opfer werden - nur eben selten ganz unschuldige.

Sicher haben viele, die damals die NS-Bewegung unterstützten, die Folgen weder geahnt noch gewollt. Aber 'nicht gewollt' ist etwas anderes als 'nicht getan'. Moshe Feldenkrais hat mal gesagt: "Wer nicht weiß was er tut, kann auch nicht tun was er will." Ein Künstler, ein Intellektueller kann sich aber nicht damit herausreden, etwas nicht gewollt zu haben. Er muss sich auch fürs nicht Gewollte verantworten.

Und wenn man heute inszeniert (oder ausstellt) kann man das, was danach kam, nicht einfach wegdefinieren.

Im konkreten Fall gab es da erst die irritierende Sache mit dem 'Sprechgesang'.

In seiner Einführung zur Premiere hat Herr Allende-Blin Tonbeispiele von Schauspielern aus den 20er Jahren vorgespielt, die er nach eigenem Bekunden bewundernswert findet. Und er sagt, dass dieses 'Singsprechen' auch z.B. von Schönberg eingesetzt wurde, den die Nazis ja verboten und vertrieben haben.

Aber meine Frau und ich kriegten eine Gänsehaut, weil uns das hohl tönende Pathos an Gründgens und Goebbels erinnerte.

Ist das wie mit dem Beton: Kommt es nur drauf an, was man draus macht? Da steckt aber auch ein Wurm im Stück selbst: Aus diesem möbelförmigen 'Mann' tönt ein - vorsichtig ausgedrückt - fragwürdiges sado-masochistisches Gelaller: "Macht! Rollen harte Glieder Brunstet Raub (...) Schlächter Schlacht Geschlecht" und so weiter - ich find's ekelhaft! Hat da einer einen Bretterzaun zum eigenen Unterbewussten eingerissen und ist dann in den Abgrund dahinter gestolpert? Ich weiß zu wenig, um mir ein Urteil zu erlauben, aber ich bin

entschieden der Überzeugung, dass man ein solches Stück heute nicht 'einfach so' feiern kann nach dem Schreyer-Motto: 'Menschwerk stirbt, Kunstwerk stirbt nie'.

Dafür sind zu viele Menschen gestorben.

Liebe Grüße

Florian

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