Am 21. Januar 2011 zogen Rechtsradikale durch Wuppertal-Vohwinkel und skandierten Parolen wie „Die Straße den Deutschen" und „Bomben auf Israel". Ein 55jähriger Bürger reagierte darauf mit einer Anzeige wegen Volksverhetzung bei der Polizeiwache Vohwinkel, die sich jedoch weigerte, die Anzeige aufzunehmen. Daraufhin erstattete der Bürger eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den leitenden Polizeibeamten. Nach einer erneuten Anfrage erhielt er am 3. März 2011 einen Termin bei Herrn Manke von der Direktion Staatsschutz der Wuppertaler Polizei. Herr Manke belehrte den Bürger, dass es mit den Nazis in Vohwinkel doch alles nicht so schlimm sei. Das Problem seien die Autonomen, die vor Jahren an der Startbahn-West einen Polizisten totgeschlagen hätten.
Am 23. September 2011 marschierten die Nazis wieder durch Vohwinkel und brüllten Parolen wie: „Hier regiert der nationale Widerstand", „Israel gehört abgeschafft", „Bomben auf Israel". Der Vohwinkeler Bürger erstattete wieder eine Anzeige wegen Volksverhetzung gegen die Veranstalter der Demonstration und eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den leitenden Polizeibeamten und legte als Beweismittel ein Tonprotokoll vor. Er verband dies mit der Aufforderung: „Ich ersuche sie dringend, diesmal von einem Belehrungsversuch durch das K14 [Abteilung Staatsschutz] abzusehen. Ich bin 55 Jahre alt und kann die Aktivitäten der Faschisten und anderer Randgruppierungen sowohl einordnen als auch politisch einschätzen."
Diese bislang nicht bekannten Vorgänge sind ein weiteres Beispiel für den verharmlosenden Umgang der Wuppertaler Polizei mit den Neonazis. Angefangen mit dem Überfall auf die Veranstaltung des Medienprojekts im Cinemaxx im Dezember 2010, dem gewalttätigen Auftreten auf der Demonstration am 29. Januar, den zahlreichen Gewalttaten gegen Andersdenke bis bin zum Auftritt gegen die Demonstration am 9. November: Die Straftaten der Nazis werden von der Polizei - wenn überhaupt - nur nachlässig verfolgt und als eine Auseinandersetzung zwischen Rechts- und Links - im Polizeijargon zwischen „Rechts- und Linksextremisten" - wahrgenommen.Einzelne oder Gruppen, die sich gegen die Nazis wehren, werden nicht ernst genommen oder wie im Fall der Zeugen des Medienprojekts gezielt verunsichert. Und Menschen, die sich gegen gewalttätige Angriffe der Neonazis schützen, laufen Gefahr, von der Polizei als „Linksextremisten" diffamiert und kriminalisiert zu werden.
Die Wuppertaler Polizei ist offensichtlich nicht nur auf dem rechten Auge blind, sondern auch auf dem rechten Ohr taub. Bei der Demonstration am 9. November skandierten die Neonazis Parolen skandieren wie „Mehr Gas - mehr Gas - mehr Gas", „6 Millionen sind nicht genug" und fotografierten Demoteilnehmer. Aber keiner der zahlreich anwesenden Polizeibeamten hatte es gehört. „Die Polizei vor Ort", heißt es in der WZ, „habe das registriert aber nicht als strafrelevant eingestuft."
Warum kommt die Wuppertaler Polizei ihrer Aufgabe, Straftaten aufzuklären, hinsichtlich der Neonazis nicht oder nur sehr nachlässig nach und gibt stattdessen politische Erklärungen ab? Ein Grund könnte sein, dass auch hier der Verfassungsschutz seine Hände im Spiel hat. Im Verfassungsschutzbericht NRW wurde der Überfall im cinemaxx als „versuchte" Störung verharmlost.
Ein großer Teil der Wuppertaler Politiker und der Presse pflegt ebenso wie die Polizei das diffuse Feindbild des „Extremismus" und damit die Gleichsetzung von links und rechts. Denn nur so ist zu erklären, dass die Politiker ihrer Aufgabe in einer demokratischen Gesellschaft, die Polizei zu kontrollieren und gegebenenfalls auch zu kritisieren, nicht nachkommen. Von den verantwortlichen Politikern der Stadt hätte man erwarten können, dass sie sich öffentlich hinter die Mitarbeiter des mit der Stadt verbundenen Medienprojekts stellen. Erstaunlich ist auch, dass bislang keine Partei den Rücktritt der Polizeipräsidentin Birgitta Radermacher gefordert hat, von der wir wissen, dass sie auf dem Tanzparkett zu glänzen weiß, aber nicht in ihrem Amt. Das hat sie in den letzten Monaten mehrfach bewiesen. Sie hat weder ihren Apparat im Griff - die Abteilung Staatsschutz und die Polizeiwache Vohwinkel - noch ein angemessenes politisches Verständnis der Gefahr von rechts. Mit dieser Polizeipräsidentin ist Wuppertal auf dem besten Wege, sich neben Dortmund-Dorstfeld zu einer zweiten Hochburg der Neonazis in NRW zu entwickeln. Dass dies nicht geschieht, dazu bedarf es aber auch Politiker, die nicht nur Zivilcourage gegen Neonazis predigen, sondern auch diejenigen, die diese Zivilcourage zeigen, gegenüber der Polizei verteidigen.
Dieter Nelles
Dr. Nelles ist Mitglied der Else Lasker-Schüler und hat in dieser Eigenschaft streitbar wie die Dichterin aus Elberfeld/Berlin Stellung genommen zu lokalen und regionalen Problemen. Dass hier angesprochene Thema hat in seinem Kern Bedeutung für die gesamte Republik. Wegschauen ist fast so schlimm wie Mitmachen. Deshalb stellen wir diesen neuen Kommentar von Dieter Nelles auf unserer Website zur Diskussion. Er war Mitstreiter im Kampf um die Umbenennung des Wuppertaler Kulturpreises, der nach dem „Bankier der Nazis" (Bild am Sonntag), Eduard von der Heydt benannt war. Dieter Nelles unterstützte unser Anliegen, den einst höchsten Nazi-Journalisten Dr. Heinz Wolf nicht noch Jahre nach seinem Tod durch die Benennung einer Straße in Wuppertal zu benennen - also: Ein engagierter Zeitgenosse im Kampf gegen das Vergessen und Wegschauen.
Hajo Jahn