Wuppertal, 2.3.2016
Frau
Dr. Angela Merkel
Bundeskanzlerin der Bundespublik Deutschland
Bundeskanzleramt
Willy-Brandt-Straße 1
11011 Berlin
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Dr. Merkel,
36 literarische Gesellschaften (Mitglieder der AG Literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten) wenden sich in einem Offenen Brief an Sie: Mit der Bitte, im Rahmen einer Regierungserklärung zur Flüchtlingsfrage die Deutschen daran zu erinnern, dass einst Thomas und Heinrich Mann, Bertolt Brecht, Else Lasker-Schüler, Anna Seghers, Kurt Tucholsky, aber auch Albert Einstein, Paul Hindemith, Max Ernst, Walter Gropius, Ludwig Mies van der Rohe, Lilli Palmer oder Willy Brandt und viele andere vor Diktatur und Krieg geflohen sind.
Wir Deutschen haben auch deshalb eine moralische Verpflichtung, eine Bringschuld. Tausende von deutschen Schriftstellern und anderen Künstlern waren während der NS-Diktatur Flüchtlinge. Sie wurden in europäischen und anderen Ländern aufgenommen, Länder, aus denen zum Teil Flüchtlinge stammen, die heute in die Bundes-republik kommen. Die Exilanten von einst blieben in ihren Gastländern unversehrt. Niemand hat sie angegriffen. Das sollte Verpflichtung für alle Deutschen heute sein angesichts zunehmender Ressentiments und Ablehnung gegenüber den Fremden und einer Verwahrlosung der öffentlichen Debatte über die Flüchtlinge.
Die Wuppertaler Else Lasker-Schüler-Gesellschaft hat in Erinnerung an die deutschen Exilanten am 9. November 1992 in 16 Bundesländern und danach ein halbes Jahr lang Dichterlesungen in Asylbewerberheimen durchge-führt. Um so deutsche Nachbarn in die Heime zu holen - zum Schutz der Flüchtlinge und zum gegenseitigen Verständnis. Das war nach den Anschlägen von Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Cottbus, Solingen und vielen anderen Städten. Diese Aktion, an der sich Günter Grass, Herta Müller, Wolf Biermann, Reiner Kunze, Sarah Kirsch und mehr als 50 weitere AutorInnen beteiligten, lässt sich angesichts der dramatisch gestiegenen Anschläge auf Asyle und Flüchtlinge nicht wiederholen.
Nach einer Erhebung des Bundeskriminalamts gab es im vergangenen Jahr 1005 Attacken, Brandanschläge und Gewalttaten auf Asylunterkünfte. Davon haben 901 einen eindeutig rechtsradikalen Hintergrund. Die Zahl hat sich damit binnen eines Jahres verfünffacht: Dies muss zurückgehen. Idealerweise auf Null.
Deshalb gilt es, die deutsche Bevölkerung mitzunehmen im Bemühen, die jetzigen Flüchtlinge nicht nur willkommen zu heißen, was wir begrüßen, sondern sie zu schützen im Namen unserer Flüchtlinge zwischen 1933 und 1945.
Daran sollten Sie bitte in einer Ihrer nächsten Regierungserklärungen zur Flüchtlingsfrage appellieren - unter Verweis auf die deutschen Emigranten und Exilanten.
Mit freundlichen Grüßen
für die Else Lasker-Schüler-Gesellschaft
haben diesen Aufruf die Ehrenmitglieder Ingrid Bachér, George Dreyfus (Melbourne) und Adolf Burger, Prag, unterzeichnet; die beiden Letztgenannten waren NS-Opfer, George Dreyfus Exilant,
Hajo Jahn, Vorsitzender der ELS-Gesellschaft, war als Kind Heimatvertriebener und Flüchtling.
36 Literarische Vereine - Mitglieder in der Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten e.V. - und die ehemalige deutsche PEN-Präsidentin Ingrid Bachér, haben inzwischen diesen Offenen Brief der Else Lasker-Schüler-Gesellschaft an die Bundeskanzlerin unterschrieben, in dem die Regierungschefin in der Flüchtlingsfrage unterstützt wird vor dem Hintergrund jener vielen deutschen Schriftsteller und anderen Intellektuellen, die aus NS-Deutschland flüchten mussten.
Es sind doch immer die Eliten: Nicht die Millionen Mitläufer, sondern die Eliten stützten oder stürzen Regime. Und es sind unsere vertriebenen Eliten, Vorbilder, deren Namen und Werke überdauern. Deren Schicksal Verpflichtung ist für die Unversehrtheit von Flüchtlingen heute angesichts der dramatisch erhöhten Attacken.
Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Erich Kästner Gesellschaft
Dr. Andreas Bode, 1. Vorsitzender
„Die Erich Kästner Gesellschaft unterstützt Ihren Offenen Brief an die Bundeskanzlerin aus Überzeugung.“
Gesellschaft für zeitgenössische Lyrik e.V
Ralph Grüneberger, Vorsitzender
D-04103 Leipzig
Roger-Loewig-Gesellschaft e. V.
Krista Maria Schädlich
Vorstandsvorsitzende, 14806 Bad Belzig
Kleist-Gesellschaft
Prof. Dr. Günter Blamberger, Präsident
("Ich halte diesen Brief und die Formulierungen für unterstützenswert, kann das aber nur für mich persönlich sagen, nicht im Namen aller Kleist-Mitglieder.")
Marburger Literaturforums
PD Dr. Jan Süselbeck, DAAD Associate Professor, University of Calgary
Department of Linguistics, Languages and Cultures
"Ich unterstütze Ihre Initiative voll und ganz. Allerdings bin ich seit letztem Jahr nicht mehr Vorsitzender des Marburger Literaturforums, sondern bereits selbst vor den abstoßenden deutschen Zuständen nach Kanada geflohen. Hiermit leite ich Ihre Nachricht an den neuen Vorstand weiter, an Prof. Dr. Jürgen Joachimsthaler und Malte Dreyer."
Prof. Dr. Jürgen Joachimsthaler
Institut für Neuere deutsche Literatur, Philipps-Universität Marburg
D-35039 Marburg
"...als neuer Vorsitzender des Marburger Literaturforums unterstütze ich Ihren offenen Brief im Namen des Marburger Literaturforums voll und ganz."
Kurt Hiller Gesellschaft e.V.
Dr. Harald Lützenkirchen, 1. Vorsitzender, 41464 Neuss
"... namens der Kurt Hiller Gesellschaft (Kurt Hiller wurde ja auch in Prag und London als Flüchtling aufgenommen) unterzeichnen wir Ihren Appell an die Kanzlerin."
Werner Bergengruen-Gesellschaft e.V.
Eckhard Lange, Präsident
"... gerne schließe ich mich im Namen der Werner Bergengruen-Gesellschaft e.V. Ihrem Apell an Frau Merkel an. Mir würde der Hinweis auf die früheren Emigranten im Rahmen einer der nächsten Regierungserklärungen zur Flüchtlingsfrage genügen."
Heimito von Doderer-Gesellschaft e.V.
Dr. Gerald Sommer, Vorsitzender
c/o Literarisches Colloquium Berlin
Am Sandwerder 5
D-14109 Berlin
Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg
Dr. Heribert Tommek
Bert Brecht Kreis Augsburg e.V.
Dr. Michael Friedrichs, c/o Brechthaus, Auf dem Rain 7
86152 Augsburg
Erich Maria Remaque-Gesellschaft e.V.
c/o Erich Maria Remarque Friedenszentrum
Ursula Führer, Vorsitzende, 49074 Osnabrück
Friedrich-Spee-Gesellschaft e.V. Düsseldorf
Friedrich-Spee-Archiv Düsseldorf-Kaiserswerth
Hans Müskens, Vorsitzender, 40489 Düsseldorf
Erich-Mühsam-Gesellschaft e.V.
Lienhard Böhning, 1. Vorsitzender, 23562 Lübeck
Ernst-Bloch-Gesellschaft
Prof. Dr. Francesca Vidal, Präsidentin der Ernst-Bloch-Gesellschaft
"Auch Ernst Bloch gehört ja zu den Menschen, die Zeit Ihres Lebens von einem Exilort zum anderen reisen mussten und so unterschreiben wir selbstverständlich Ihren Brief. Zudem bin ich selbst Tochter eines 'Migranten', der aus poltischen Gründen Spanien unter Franco verlassen musste."
Leonhard-Frank-Gesellschaft e.V
Michael Henke, 1. Vorsitzender , 10999 Berlin
Varnhagen-Gesellschaft
Dr. Nikolaus Gatter, Vorsitzender
Wangener Kreis
Ges. f. Literatur u. Kunst „Der Osten“ e. V.
Stefanie Kemper, Vorsitzende
Internationale Novalis-Gesellschaft
Dennis Mahoney, Präsident
"Ich persönlich bin dafür, dass die Internationale Novalis-Gesellschaft als Gesellschaft den Offenen Brief unterzeichnet, aber als Nicht-Deutscher lasse ich mich gern in dieser Hinsicht von meinen Kollegen beraten.
Im Zusammenhang mit Ihrem Briefkopf und dem Anfang des Gedichts "Mein blaues Klavier" finden Sie es hoffentlich vom Interesse, dass meine Abteilung in zwei Wochen ein Konzert des exilierten Wiener Professors und Komponisten Richard Stöhr veranstaltet: Ehrengast dabei ist Hedi Ballantyne, die Tochter von Richard Stöhr, die die Kriegsjahre in England verbrachte und später an der Universität Vermont studierte, wo sie Professor Kahn kennenlernte, der selber Flüchtling aus Nazi-Deutschland war."
Dr. Gabriele Rommel,
Leitung der Intern. Novalis-Gesellschaft
"Ihr Brief spricht die tiefe Besorgnis all der Kollegen aus, die sich mit der Pflege des kulturellen, insbesondere literarischen Erbes und der darin bewahrten humanistischen Werte beschäftigen und das als eine lebendige Tagesaufgabe betrachten. Die Bundeskanzlerin wird es als Untermauerung und Stärkung ihrer Positionen verstehen und auch brauchen."
Armin T. Wegner-Gesellschaft e.V.
Ulrich Klan, Vorsitzender
Literarisches Zentrum Gießen
Prof. Sascha Feuchert
„Ich unterzeichne den Brief nicht nur als Vors. des Literarischen Zentrums Gießen sehr, sondern auch als Leiter der Arbeitsstelle Holocaustliteratur an der Universität Gießen.“
Peter-Hille-Gesellschaft
Dr. Michael Kienecker, 1. Vorsitzender
NGL - Neue Gesellschaft für Literatur Erlangen
Nevfel Cumart, 1. Vorsitzender
Carl-Zuckmayer-Gesellschaft Mainz e. V.
Peter Krawietz, Präsident
"Ich persönlich unterzeichne den Brief gerne. Schließlich unterstützt er die Politik der Kanzlerin, die anscheinend immer einsamer wird."
E.T.A. Hoffmann-Gesellschaft e.V.
Prof. Dr. Bernhard Schemmel
Meininger Museen/ Literaturmuseum Baumbachhaus
Dr. Andreas Seifert
Frank Wedekind-Gesellschaft Darmstadt e.V.
Hartmut Vinçon, 1. Vorsitzender
Johann-Heinrich-Voß-Gesellschaft
Silke Gehring, Vorsitzende
Anna-Seghers-Gesellschaft
Hans-Willi Ohl, Vorsitzender
Charles-Bukowski-Gesellschaft
Roni, Vorsitzender
"Ihr Anliegen ist auch mir persönlich wichtig und entspricht dem gesellschaftskritischen, weltoffenen Geist der von mir vertretenen Charles-Bukowski-Gesellschaft. Ich danke Ihnen für Ihr Engagement in der Sache."
Kulturhistorischer Verein Friedrichshagen e.V. -
Ronald Vierock, Vorsitzender
Deutsche Literatur und Sprache des Mittelalters und der Frühen Neuzeit mit dem Schwerpunkt Bayern
D-86159 Augsburg
Prof. Dr. Klaus Wolf
Robert Walser-Gesellschaft
Dr. Kerstin Gräfin von Schwerin, Präsidentin
CH-3011 Bern
Fritz Reuter-Gesellschaft e.V.
Jürgen Grote, Präsident
Friedrich-Spee-Gesellschaft, e.V., Trier
Vorsitzende: Dr. Rita Voltmer
Bettina-von - Arnim - Gesellschaft
Dr. Uwe Lemm, Vorsitzender
Goethe-Gesellschaft in Weimar
Dr. habil. Jochen Golz, Präsident
Deutschen Tschechow-Gesellschaft
Prof. Dr. Rolf-Dieter Kluge, Vorsitzender
Sowie:
"... gerne duerfen sie auch das "walter-trier-archiv" in konstanz mit als unterzeichner dieses offenen briefes auffuehren. gerade ein satirisch-taetiger, komisch-kritischer kuenstler wie walter trier, der ab 1935, auf der flucht vor den nationalsozialisten, gleich zweimal in seiner beruflichen karriere von null an beginnen musste, kann zeugnis davon geben, wie gluecklich man sich preisen konnte, wenn man wie er mit seine klein-familie zunaechst in england und spaeter in kanada zuflucht und arbeit fand. gerade heute sind ja auch wieder die dem lachen und leben verpflichteten kuenstler ganz oben auf der liste von fundamentalisten, scharfmachern und hetzern. dr. antje neuner-warthorst
Kopie an:
Peter Hintze, Bundestagsvizepräsident und Mitglied der Else Lasker-Schüler-Gesellschaft
Claudia Roth, Bundestagsvizepräsidentin und Mitglied der ELS-Gesellschaft
Siegmund Ehrmann, Vorsitzender des Kulturausschusses u. Mitglied der ELS-Gesellschaft