06.Februar 2013
Kultur und Wissen
Von Peter Kleinert
Ausgerechnet das Volk der Täter tut sich schwer mit den richtigen Formen der Erinnerung für Gegenwart und Zukunft. Wie das? Hat doch die Bundesrepublik die Vergangenheit so vorbildlich aufgearbeitet, dass ehemals diktatorisch regierte Länder Abordnungen schicken, um von den Deutschen zu lernen. Sie besuchen die „Gauck-Behörde", bewundern das Jüdische Museum, das Stelenfeld oder die Gedenkstätte für die verfolgten Sinti und Roma. Die „Ewigkeit des Grauens" nannte Bundestagspräsident Norbert Lammert in seiner Rede am Holocaustgedenktag die NS-Diktatur. Mit keinem Wort erwähnte er die Ausstellung über Verfolgte Künstler, die wenige Stunden zuvor im Paul Löbe-Haus, dem Haus der Abgeordneten, eröffnet worden war.
Dr. Rudolf Jindrak, Tschechiens Botschafter in Berlin, eröffnete die Ausstellung „Kunst in der Katastrophe", an der auch das Prager Museum Montanelli beteiligt ist. An der Stellwand die Leihgabe eines eindrucksvollen Bildes von Felix Nussbaum aus dem Zentrum für Verfolgte Künste im Kunstmuseum Solingen.
Alle Fotos: Else Lasker-Schüler-Gesellschaft
Mit der „Kunst in der Katastrophe" präsentierte sich dort erstmals in der Hauptstadt das „Zentrum für verfolgte Künste", das bislang ohne staatliche Fördermittel auskommen muss und dessen Zukunft deshalb mehr als ungewiss ist. Was aber wird, wenn es keine Zeitzeugen mehr gibt wie Inge Deutschkron, die im Parlament bewegend über ihr Überleben im „Dritten Reich" gesprochen hat? Und die dabei „keinen Raum ließ zwischen Erinnerung und Gegenwart" (FAZ). Ein Ahnung kommender Probleme sind die Versäumnisse im Kampf gegen neonazistischen Terror ebenso wie die Erinnerungs-veranstaltung zum 70. Jahrestag nach der Schlacht von Stalingrad: Kein deutscher Politiker war nach Russland gereist! Es war die Woche, in der der SPIEGEL in einer Titelgeschichte über die Beutekunst der Nazis berichtete, „das schmutzige Erbe".
Wenn es keine Zeitzeugen mehr gibt, die aus eigener Erfahrung berichten können, wie wird dann die von Bundestagspräsident Lammert beklagte „Ewigkeit des Grauens" zur Ewigkeit des Erinnerns? Am 30. Januar, dem Tag, an dem Hitler zum Reichskanzler gewählt wurde, wurde vormittags die Ausstellung „Kunst in der Katastrophe" eröffnet. Am Nachmittag gab es im Bundestag die erwähnte Gedenkveranstaltung. Wie ein Jahr zuvor Marcel Reich-Ranicki hielt die Publizistin Inge Deutschkron eine Rede im Bundestag. Als Zeitzeugin war sie deshalb so eindrucksvoll, weil sie um die Verbindung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft weiß. Denn Intellektuelle oder missliebige Minderheiten werden verfolgt, so lange es autoritäre Regime gibt. Inge Deutschkron ist 90 Jahre alt. Opfer und Zeitzeugen wie sie sind authentisch.
Das heikelste Thema der deutschen Zeitgeschichte
Während die mit der Gnade der späten Geburt gesegneten „Gedenkredner" die Erinnerung lediglich bewerten, wächst das Unbehagen an den gängigen Ritualen des Erinnerns. Hier setzt das „Zentrum für Verfolgte Künste" an, das mit den Werken und Biografien verfolgter Künstler und anderer Intellektueller, ja sogar von Sportlern arbeitet. Mit Exponaten aus diesem „Zentrum", das im Kunstmuseum Solingen beengt untergebracht ist, war wenige Stunden zuvor im Haus der Abgeordneten, dem Paul Löbe-Haus, die Ausstellung „Kunst in der Katastrophe" eröffnet worden. Eigentlich hätte das Bundestagspräsident Günter Lammert tun wollen. Der hatte die Ausstellung angeregt, aber wegen der Holocaust-Gedenkveranstaltung am Nachmittag war er „unabkömmlich". Aber auch bei der Einführung von Frau Deutschkron gab es von ihm keinen Hinweis auf die Ausstellung mit Exponaten aus der Bilder-„Sammlung Gerhard Schneider" und der von der Else Lasker-Schüler-Gesellschaft mühsam angekauften Exil-„Literatursammlung Jürgen Serke".
Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) war ebenso Gast der Ausstellungs-eröffnung wie die Abgeordneten Deutschmann (FDP) und Hardt (CDU)
Während man das in Berlin im Aufbau befindliche, im Ausland heftig umstrittene „Zentrum gegen Vertreibungen" mit jährlich zwei Millionen Euro üppig fördert, lässt der Bund das „Zentrum" in der rheinischen Provinz unberücksichtigt. Aus Geldmangel? Dabei scheinen genügend Mittel vorhanden zu sein für die Vertriebenen. So hat der ehemalige Kulturstaatsminister Naumann laut SPIEGEL vom 28. Januar vorgeschlagen, 10 Millionen (!) Euro aus dem Etat der Bundeskulturförderung für Vertriebene abzuzweigen, um dieses Geld in die Provenienzforschung des von den Nazibossen geraubten Kulturguts zu stecken.
Noch ein Museum für die Vertriebenen?
Im selben Artikel ist auch nachzulesen, dass ein Sudetendeutsches Museum entstehen soll, das Bund und Land Bayern mit 30 Millionen Euro unterstützen. Es wäre das dritte oder vierte Museum, das aus dem erwähnten Etat der Bundeskulturförderung für Vertriebene finanziert wird.
Die stellvertretende Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen, Sylvia Löhrmann, mahnte in ihrer Rede höflich an, dass auch das Zentrum für Verfolgte Künste durch den Bund gefördert werden sollte. Bislang wird das von der Wuppertaler Else Lasker-Schüler-Gesellschaft und dem „Exil-PEN" initiierte Zentrum lediglich vom Land-schaftsverband Rheinland finanziell mit rd. 300.000 € jährlich unterstützt. Zum Vergleich: Das Zentrum gegen Vertreibungen erhält jährlich 2 Millionen Euro vom Bund.
Es war die stellvertretende Ministerpräsidentin Nordrhein-Westfalens, Sylvia Löhrmann, die bei der Ausstellungseröffnung „Kunst in der Katastrophe" leise anmahnte, der Bund möge das „Zentrum für Verfolgte Künste" institutionell fördern. Als Bildungsministerin weiß sie um die Problematik, junge Leute heutzutage über die ungeheuerlichen Verbrechen der Nazis aufzuklären, Auf noch mehr Unverständnis stoßen die Bemühungen überforderter Lehrer in Sachen Erinnerungspädagogik bei den Kindern von Einwanderern. Sylvia Löhrmanns mahnende Bitte verhallte ungehört: Kein Regierungs-mitglied war gekommen, die überregionale Presse glänzte ebenfalls durch Abwesenheit. Sie hätte sonst aus dem Mund der grünen Politikerin hören können, dass die Else Lasker-Schüler-Gesellschaft mit ihrem Partner „Exil-PEN" seit rund zwei Jahrzehnten für das Zentrum kämpft, das mehr ist als ein „Museum des Exils", wie es Herta Müller in einem SPIEGEL-Essay vom 21. Januar 2013 forderte.
Wahlprüfstein für die Parteien
Für die kommende Bundestagswahl sollte als Wahlprüfstein den Parteien die Frage vorgelegt werden, wie sie es künftig mit der Erinnerungskultur halten wollen. Denn bislang wird nur ein Teil der kollektiven Gewaltgeschichte behandelt. Wissenschaftler wie Harald Welzer oder Christian Schneider beklagen längst „peinliche Gedenkveranstaltungen und Mahnmaleinweihungen. Die bei solchen Anlässen zur Schau gestellte Moral, das inszenierte Übermaß an Sentimentalität und Pathos lösen zunehmend Erschöpfung, Langeweile und ein deutliches Unbehagen aus." ("Gefühlte Opfer. Illusionen der Vergangenheitsbewältigung", Klett-Cotta)
Dr. Dadja Altenburg-Kohl vom Prager Museum Montanelli, Siegmund Ehrmann, MdB, kulturpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, und Dr. Rolf Jessewitsch vom Zentrum für verfolgte Künste im Kunstmuseum Solingen.
Echolos wie die Ausstellungseröffnung im Paul Löbe-Haus könnte auch das in Solingen im dortigen Kunstmuseum untergebrachte „Zentrum für verfolgte Künste" bleiben, sieht man von gelegentlichen Ausstellungen ab, wenn es keine ausreichende finanzielle Ausstattung für notwendige überregionale und internationale permanente Wirkungsmöglichkeiten gibt. Das Zentrum verfügt auch über keine wissenschaftlichen Mitarbeiter, keine Pädagogen oder Literaturexperten. Direktor Dr. Rolf Jessewitsch ist für das Zentrum allein zuständig, zugleich auch für das Kunstmuseum im selben Haus. Die vom Landschaftsverband Rheinland in Aussicht gestellten rund 300.000 € pro Jahr werden kaum ausreichen, diese Personallücken zu schließen.
Wenn schon der Bund in den einschlägigen Gesetzen die verfolgten Künstler und Intellektuellen als eigene Opfergruppe unberücksichtigt lässt, dann erhebt sich die Frage, ob der Staat Deutschland nicht die geraubten Kunstwerke, die kostbaren Schmuckstücke und wertvollen Immobilien, dieses „schmutzigen Erbes" nicht versteigern sollte zugunsten einer Stiftung für die verfolgten und widerständigen Künstler, auf die unser Land stolz sein kann und mit denen sich eine Erinnerungskultur für die Zukunft aufbauen ließe.
Das Wegsperren der Nazi-Beutekunst nach dem Motto „aus den Augen, aus dem Sinn" sollte mehr als sieben Jahrzehnte nach der Befreiung ein Ende haben. Der Bund besitzt laut dem Nachrichtenmagazin SPIEGEL „rund 20.000 Erbstücke – Gemälde, Teppiche, Möbel, Grafiken, Skulpturen, Bücher und Münzen. Allein die 2.300 Gemälde haben nach einer Schätzung von 2004 einen Versicherungswert von 60 Millionen Euro. Hunderte weitere lagern in Deutschlands Museen." Wie wäre es, wenn man die versteigern würde? 60 Millionen für das Zentrum der Verfolgten Künste? Damit das schmutzige Erbe der Nazi-Beutekunst kein Desaster wird! Österreich hat es vorgemacht, wie mit der Beutekunst moralisch sauber umgegangen werden kann: Bei einer Auktion von Christie's zugunsten von NS-Opfern kamen 1996 elf Millionen Euro zusammen.
Eine Begründung für das Zentrum der verfolgten Künste liefert ein (leicht abgewandeltes) Zitat des jüdischen Schriftstellers Jonathan Litell: Die deutsche Schuld und Schande sind intensiv aufgearbeitet worden, nun gilt es, auch das Ansehen Deutschlands im Schatten von Schuld und Schande aufzuarbeiten und zu nutzen für die Aufklärung kommender Generationen - mit den Biografien der Besten aus unserer Kultur, jener Opfer und Gegner der Regime, auf die wir stolz sein können. Mit der ständigen Vergegen-wärtigung der Verbrechen erreicht man das Gegenteil.
Die Erinnerung ist keine Wiederholung, sondern ein anhaltender Prozess. Die Frage des Leids, des Unrechts, das den Exilanten, aber auch Deutschen angetan wurde, blieb lange ausgeblendet. Beide Seiten, das getane Unrecht und das erlittene, müssen in einem neuen Diskurs zusammengebracht werden. Bisher hat man sie nur einzeln rezipiert. Die Geschichte des Dritten Reichs, des Zweiten Weltkriegs und der NS-Verbrechen sind jedoch ein Ganzes, keine Puzzle von Fragmenten.
Ikarus, 1936
Dieses Bild von Oscar Zügel „hat den spanischen Bürger-krieg mit Blessuren überlebt und wurde als Zeitdokument und symbolisch auch als Kritik an Kriegen und deren Schrecken in diesem Zustand belassen". - Text der Schenkungsurkunde, mit der Katja und Gotthard Zügel, die Kinder des Malers und Gründer des „Zügel-Archivs Kunst und soziale Verantwortung" das signierte Werk dem Zentrum für Verfolgte Künste aus Anlass der Ausstellung in Berlin übereigneten. Es ist die erste Schenkung eines Bildes. Die Else Lasker-Schüler-Gesellschaft erhielt zudem sechs Exilbriefe von Thomas Mann für das von ihr initiierte Zentrum.
Die Ausstellung im Paul Löbe-Haus bleibt bis zum 5. März geöffnet. (PK)