Jerry Lewis wollte einen Clown in einem KZ spielen. Doch der „King of Comedy“ scheiterte. Sein Film „The Day The Clown Cried“ wurde nie fertig, aber zur Legende. Gab es ihn überhaupt? Der Dokumentarist Eric Friedler lüftet ein großes Geheimnis.
Wir sehen in das Gesicht eines traurigen Clowns. Er versucht, mit drei Bällen zu jonglieren. Doch es will ihm nicht gelingen. Eins, zwei, drei, schon hat er einen der Bälle verloren. Erste Klappe, die zweite, die dritte. Es wird nicht besser. Die Aufnahme bricht ab.
Der Clown, dem die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben steht, ist Jerry Lewis. Der „King of Comedy“ ist kaum wiederzuerkennen. Er spielt die schwerste Rolle seines Lebens, in einem Film, an den er bis ans Ende seines Lebens denken wird, an jedem einzelnen Tag. Er hat diesen Film nie fertiggebracht. Drei Tage vor Ende der Dreharbeiten packte er am Filmset in der Nähe von Stockholm die Filmrollen ein und flog heim nach Los Angeles. „The Day The Clown Cried“: So heißt der Film, der die Karriere des Jerry Lewis hätten krönen und mit dem er Filmgeschichte hätte schreiben können. Aber es war nicht gut, er war nicht gut. „Ich war nicht glücklich mit meiner Leistung“, sagt Jerry Lewis. Doch ist das schon alles?
„The Day The Clown Cried“, der Tag, an dem der Clown weinte, war nicht irgendeine Komödie. Es war der Versuch, dem Schrecken des Holocausts mit den Mitteln des Humors zu begegnen. Das hatte 1972, als Jerry Lewis drehte, noch niemand gewagt. Die Geschichte: Der Clown Helmut, der wegen einer Beleidigung Hitlers im Konzentrationslager sitzt, bringt jüdische Kinder zum Lachen. Die SS lässt ihn gewähren, weil er die Kinder mit seinen Späßen beruhigt. Wenn er sie dazu bringt, in die Gaskammer zu gehen, soll er mit dem Leben davonkommen. Helmut geht los. Er geht mit den Kindern. Er geht mit ihnen ins Gas.
Kann jemandem dazu eine komische, künstlerische Überhöhung einfallen, um Tyrannei und Menschenverachtung umso deutlicher zu kennzeichnen? Jerry Lewis war der Überzeugung, er könnte das. Er reiste ein Jahr lang durch Europa, besuchte die KZ-Gedenkstätten in Auschwitz, Bergen-Belsen und Dachau, sammelte Requisiten, baute ein riesiges Set in Schweden auf, ließ sich von Ingmar Bergman die besten Schauspieler empfehlen, schrieb Tag und Nacht am Drehbuch, kannte jeden im Team mit Vornamen, achtete bei den Dialogen auf die Betonung jedes einzelnen Worts, überwachte jede Einstellung der Kamera und dann – verließ er das Set, kurz bevor die letzte Klappe hätte fallen sollen. Er wurde in Schweden nie wieder gesehen, über den Film hat er nie wieder geredet. Kein Publikum hat „The Day The Clown Cried“ je gesehen. Es war nicht einmal bekannt, ob es die Aufnahmen überhaupt noch gab.
Es gibt sie. Und wer anderes könnte sie gefunden und dann auch noch Jerry Lewis über die Niederlage seines Lebens zum Sprechen gebracht haben als der Dokumentarfilmkünstler Eric Friedler, der für den NDR arbeitet und dem wir Filme wie „Das Schweigen der Quandts“, „Aghet – Ein Völkermord“ oder „The Voice of Peace – Der Traum des Abie Nathan“ zu verdanken haben. Friedler ist ein Schatzsucher, ein Menschenfischer und ein großer Erzähler obendrein. Man fragt sich, wie er das macht, wie er verloren geglaubtes Material und die Protagonisten von damals findet, wie er sie zum Sprechen bringt. Mehr als vierzig Jahre lang hat Jerry Lewis zu „The Day The Clown Cried“ geschwiegen, nun, vor Friedlers Kamera, redet er sich alles von der Seele, und wir erkennen, was dieser unvollendete Film mit dem „King of Comedy“ gemacht hat. Die Geschichte hat Jerry Lewis gepackt und nie wieder losgelassen, sie hat ihn ergriffen und verschlissen: Er sieht sich, wie er als Clown Helmut 65 Kinder in die Gaskammer führt. Da gibt es keine Comedy mehr. Doch ohne diese, glaubte Lewis, den der Produzent Nat Wachsberger, der sich gar nicht richtig um die Rechte an der Vorlage gekümmert hatte, im Stich ließ – ohne Comedy konnte es nicht gehen. Also ging gar nichts mehr.
Stimmt das? Die Schauspieler, die Regieassistenten, der Kameramann von damals scheinen nicht dieser Ansicht zu sein. Auch sie hat der Film gepackt und nie mehr losgelassen. Was 1972 geschah, wird in den Gesprächen derart lebendig, dass der Schauspieler Lars Lind und Eric Friedler schließlich auf die Idee kommen, einige Schlüsselszenen von „The Day The Clown Cried“ im Studio nachzuspielen. So sehen wir Lind, Fredrik Ohlsson, Jonas Bergström, Nils Eklund, Tomas Bolme, Hans Klinga, die heute in ihren Siebzigern und Achtzigern sind, Texte vortragen, die ihnen das Drehbuch vor 44 Jahren vorgab.
Überblendet werden diese Szenen mit Aufnahmen aus dem Film, die der schwedische Produzent Hans Crispin gerettet und die Eric Friedler mit seinem exzellenten Team (genannt sei nur die Koautorin Silke Schütze) aufbereitet hat. Der Effekt ist ungeheuerlich: Die Dokumentation wird zum Dokudrama, das uns glauben macht, wir sähen den Film, den niemand jemals mehr hätte zu Gesicht bekommen sollen. Eric Friedler hebt nicht nur den Schatz, er löst nicht nur das Rätsel. Er erweckt vielmehr einen Kino-Mythos zum Leben und zeigt, dass Jerry Lewis’ Scheitern, das Roberto Benigni fünfundzwanzig Jahre später mit seinem gleichartigen Film „Das Leben ist schön“ mitnichten ausglich, auch wenn er dafür den Oscar bekam, nicht das letzte Wort bleiben muss. Denn Eric Friedler führt „The Day The Clown Cried“ förmlich auf. Was für ein Film.
Michael Hanfeld