Kölner Stadt-Anzeiger 27.02.12
Im Kunstmuseum Solingen ist über ein Zentrum für verfolgte Künste diskutiert worden. Ausrichter war die Else Lasker-Schüler-Gesellschaft, die sich seit längerem für ein solches Zentrum einsetzt.
SOLINGEN - Thomas Mann, Stefan Zweig, Anna Seghers - das sind Namen berühmter Literaten im Exil. Der Avantgarde-Theatermann Erwin Piscator gründete in der Emigration in New York eine Schauspielschule. Der österreichische Komponist Arnold Schönberg, Schöpfer der Zwölftonmusik, floh vor den Nazis ebenfalls in die USA.
Eine dauerhafte Gedenkstätte für Künstler im Exil gibt es in Deutschland mit seiner Nazi-Vergangenheit nicht. Seit 20 Jahren kämpft Hajo Jahn, Leiter der Wuppertaler Else Lasker-Schüler-Gesellschaft (ELS), für ein solches Zentrum. Namhafte Intellektuelle, an erster Stelle Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller („Atemschaukel“), unterstützen das Projekt. Müller selbst hat das Schicksal des Exils erlitten. In den 80er Jahren floh sie aus ihrer rumänischen Heimat nach Deutschland.
Herta Müller schreibt an Merkel
Zwei Briefe hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) inzwischen erhalten. Einen schrieb Jahn zusammen mit dem PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland (Exil-PEN). Darin sprechen sich Prominente wie Udo Lindenberg, Iris Berben, Dieter Kosslick, Fritz Pleitgen für ein Zentrum der verfolgten Künste aus. Dieses müsse vom Bund mitfinanziert werden, wie es auch beim geplanten Zentrum gegen Vertreibungen der Fall sei. Den Ort der Präsentation halten die Unterzeichner offen - präferieren aber Berlin. Herta Müller schrieb einen Brief an Merkel. Deutschland brauche ein „Museum des Exils“, um sich über die Verluste durch die Vertreibung von Künstlern klar zu werden. Die Gedenkstätte müsse sich allen Facetten des Exils widmen, auch der Erfahrung des Exils in der DDR oder in osteuropäischen Diktaturen.
„Wir wollen keine Elfenbeintürme.“
Ein in seiner Art bisher einzigartiges Zentrum für Kunst im Exil existiert im Prinzip schon - unter dem Dach des Solinger Kunstmuseums. Dort haben die private Sammlung Gerhard Schneider, die aus rund 3000 Bildern einst verfemter Künstler besteht, sowie die Literatursammlung „Verbrannte Dichter“ des Journalisten Jürgen Serke mit rund 2000 Büchern, Briefen und Fotos eine Heimat gefunden. Die Lasker-Schüler-Gesellschaft würde gerne Solingen als Mittelpunkt des geplanten Zentrums für verfolgte Künste sehen.
Doch es gibt Widerstände: Vor kurzem schickte Kulturstaatsminister Bernd Neumann eine Delegation in die bergische Provinzstadt, um sich ein Bild zu machen. Die Spitzenbeamten machten den Solingern keine Hoffnung auf eine Förderung durch den Bund. Neumann habe vorgeschlagen, ein Zentrum könne in der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt/Main untergebracht werden, wo es bereits das Deutsche Exilarchiv gebe, sagt Jahn. „Wir wollen aber keine Elfenbeintürme.“ Gebraucht werde ein Gedenkort für die ganze Bevölkerung. In Frankfurt wäre ein solches Zentrum nur ein „Anhang“, befürchtet er.
Klares Konzept gefordert
Bei einer Podiumsdiskussion am Sonntag in Solingen machten sich Wissenschaftler und Intellektuelle noch einmal stark für ein eigenständiges Zentrum der Exil-Kunst. Der SPD-Kulturpolitiker und Bundestagsabgeordnete Siegmund Ehrmann forderte dafür ein klares Konzept, ein deutliches Bekenntnis der Stadt Solingen und die Kooperation der rot-grünen Landesregierung. Gerade vor dem Hintergrund der jetzt aufgedeckten Neonazi-Terrorserie sei klar, dass man ein Zentrum brauche, das nicht aus Datenbanken im Internet bestehe, sondern emotional „alle Sinne“ anspreche.
Der frühere ARD-Vorsitzende Fritz Pleitgen, sagte, wenn das Projekt jetzt nicht nach vorn gebracht werde, „wird es zerredet und der Apparat hat wieder einmal gesiegt“. (dpa)