Auf in Else Lasker-Schülers-Wuppertal:

Uraufführung eines Stücks, das Dichtervater Goethe in die Gegenwart unseres Einwanderungslandes holt: 19. August im Theater am Engelsgarten

Sunays Comingout als Mensch oder: Der Neue West-oestliche Divan

Das Theater Anderwelten präsentiert ein Multi-Media Stück von Heiner Bontrup, stellv. Vorsitzender der ELS-Gesellschaft, und Melanie Mägdefrau im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Orientexpress“

 

Es gilt als eines der schwierigsten Werke Goethes: die Gedichtsammlung „West-oestlicher Divan“. Goethe selbst ahnte schon, dass seine Zeitgenossen Probleme haben würden, einen Zugang zu diesem durch die persische Lyrik inspirierten Gedichten zu finden. Zu wenig klassisch, zu wenig deutsch, so mussten die Zeitgenossen dieses Werk empfinden. Daher ist der „Divan“ das einzige seiner Werke, dem Goethe eine sehr umfangreiche Einleitung zum „besseren Verständnis“ voran gestellt hat. 

Der wahre literarische Rang dieses einzigartigen Werkes wurde indes erst etwa 100 Jahre nach dem Erscheinen der Gedichtsammlung entdeckt. Hugo von Hofmannsthal gehörte zu den ersten Dichtern, die die gewaltige Bedeutung des „Divans“ verstanden; er schreibt: „Goethes Jünglingsgedichte fliegen uns durch die Seele wie Musik, in »Hermann und Dorothea«, im »Meister« ist das Dasein wie in festen, von innen erhellten Bildern vor uns hingehalten, so ist auch der »Faust« eine Bilderfolge, freilich eine magische; hier aber, im »West-östlichen Divan«, sind wir, wie nirgends, mitten in den Bereich des Lebenden gestellt.“

Tatsächlich hatte Goethe, der selbst viel zum Entstehen einer deutschen Nationalliteratur beigetragen hatte, mit diesen Gedichten für die Deutschen das Tor zur Weltliteratur weit aufgestoßen. Denn beseelt ist das Werk von der Idee eines transkulturellen Dialogs zwischen Okzident und Orient. Eine Vision, die vor dem Hintergrund des aktuellen weltpolitischen Geschehens aktueller, vielleicht aber auch wirklichkeitsfremder kaum erscheinen könnte. Wohlfeil zitieren Politiker gerne Goethe: „Das Land, das seine Fremden nicht schützt, ist dem Untergang geweiht.“ Tatsächlich findet sich dieser Satz im „Divan“, indes zitiert Goethe hier den persischen Botschafter Mirza Abul Hassan Khan am russischen Hofe in St. Petersburg, der  vor allem die Schönheit der Stadt, die Gastfreundschaft und die Schönheit der Frauen lobt: »Ich bin durch die ganze Welt gereist, bin lange mit vielen Personen umgegangen, jeder Winkel gewährte mir einigen Nutzen, jeder Halm eine Ähre, und doch habe ich keinen Ort gesehen, dieser Stadt vergleichbar noch ihren schönen Huris. Der Segen Gottes ruhe immer auf ihr.“

Wie aber holt das Theater Anderwelten die Gedichte Goethes in die Gegenwart. Was hat Goethe uns mit seinem „Divan“ in der nach 9/11 verrückt gewordenen Welt noch zu sagen? Das Autorenduo Heiner Bontrup und Melanie Mägdefrau des Theaters Anderwelten verwickeln die 26 Jahre junge Iranerin Sunay in einen fiktiven Dialog mit Goethe: Sunay hat Germanistik studiert und ist jetzt arbeitslos. Sie lebt sehr zurückgezogen in einer kleinen Dachmansarde und hält sich mit Gelegenheitsjobs soeben über Wasser. Da sie bewusst auf Fernsehen und Internet verzichtet, dient ihr als wichtigste Informationsquelle ein altes Röhrenradio, das sie auf dem Trödel gekauft hat. In diesem Hohlspiegel fängt sie Nachrichten ein und sie erlebt schmerzhaft, dass mitten durch diese Welt ein Riss geht: Orient und Okzident bilden sind eigentlich die beiden Hälften e i n e r  Welt. Aber politisch scheint diese eine Welt auseinanderzubrechen.

In ihrem Bücherschrank findet Sunay Goethes „West-östlichen Divan“. Unvermittelt werden Goethes Gedichte und seine Utopie eines gleichberechtigten poetischen Dialogs zwischen Okzident und Orient für sie zum Fluchtpunkt ihrer Sehnsüchte nach einem schönen und sinnerfüllten Leben. In ihren fiktiven Briefen an Goethe beginnt sie mit dem großen Genius der Weimarer Klassik einen zeitüberspannenden kritischen Dialog, hinterfragt das Frauenbild Goethes und klärt den Genius der Weimarer Klassik über die aktuelle Weltlage auf. Und Goethe antwortet ihr aus der Tiefe der Vergangenheit raunend ¬¬- mit seinen Gedichten und seinen Gedanken aus der Einleitung zum West-östlichen Divan. 

Während dieses multimedialen Stücks werden die Stimmungen der Briefe Sunays, die Gedichte Goethes und die Musikwelten, durch die sich Sunay vermittels ihres alten Röhrenradios hindurchhört, in Tanz transformiert. Dabei spannt sich der musikalische Bogen von orientalischer Musik über die deutsche Klassik bis hin zum HipHop. Die magischen Bild- und Videosequenzen des Filmemachers Frank N entführen den Zuschauer in die Innenwelt des Bewusstseins Sunays und nehmen ihn zugleich mit auf eine Reise, die ihn vom Iran über Deutschland nach New York entführt, mitten in das Herz der Big Apple. Dort versteht Sunay, dass sie tatsächlich ist, was ihr Name sagt: ein Geschenk des Mondes. Und sie entdeckt, dass das Leben grenzenlos sein kann, wenn… Doch das Geheimnis ihres Comingout als Mensch soll hier (noch) nicht verraten werden.

 

Tanz I Chrystel Guillebeaud (Sunay)

Schauspiel I Olaf Reitz

Sprecherin I Claudia Gahrke

Soundtrack I Charles Petersohn

Live-Musik: Michael Hablitzel (Cello)

Videobühenbild: Frank N

Text und Regie I Heiner Bontrup & Melanie Mägdefrau

 

Theater am Engelsgarten I Mittwoch I 19. August 2015 I 19.30 Uhr 

Eine Veranstaltung im Rahmen der Kulturreihe „Orientexpress“

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